Kommunikation kann zum Motor des digitalen Transformationsprozesses werden. Aber nur dann, wenn die ganze Organisation mitmacht.
Es gehört beinahe schon zu den Allgemeinplätzen, die digitale Transformation als schöpferische Zerstörungskraft von epochalem Ausmaß zu beschreiben (Roland Berger: Die digitale Transformation der Industrie, 2015). Wer Gelegenheit hatte, eine solche Veränderung selbst mitgestalten zu können, der hat dann sicher auch erfahren, wie wenig ihm der gute alte Schumpeter bei der kommunikativen Bewältigung dieses Schöpfungsprozesses zur Seite steht. Kommunikation war nicht sein Thema. Das ist für damalige Verhältnisse zwar verständlich, heute aber schade und sogar gefährlich, weil es in der digitalen Transformation ohne eine schlüssige Kommunikation nach innen und nach außen (in dieser Reihenfolge) nicht gutgehen wird. Wer diese Erfahrung macht, der macht dann auch noch eine weitere. Gerade die Kommunikation kann, indem sie sich wandelt, zu einem der stärksten Motoren der Verwandlung selbst werden.
Aufbruch ins Ungewisse
Der Corporate Newsroom hat deswegen zu Recht Konjunktur. Er ist, um es knapp zu sagen, auch deshalb als Konzept im Land so erfolgreich, weil er selbst zeigt, was er zu bewirken gedenkt. Der Corporate Newsroom ist selbst eine Transformationsstory, er belegt für jeden, der hier zu Besuch ist oder gar das Privileg hat, in ihm zu arbeiten, das neue Denken im Alltag. Damit wird er zu einer unmittelbaren Herausforderung für gediegene Unternehmenskulturen, oder, um es böser zu sagen, für die Lehmschicht in den Unternehmen. Denn die Bereitschaft, sich offen und auf die Suche zu begeben, ins Ungewisse, sie steht quer zu allen gewöhnlichen Karrieremustern von denjenigen, die gelernt haben, dass es vor allem der nach oben schafft, der es verstanden hat, Risiken zu minimieren.
Jetzt also das Gegenteil. Das Wagnis. Tempo, gewagtere Bilder, Wordings, die nicht bis ins letzte Komma die zumeist schrecklichen sprachlichen Schleifspuren eines in Generationen erlittenen Abstimmungsprozesses durchlaufen haben. Ich erinnere mich an die Zuchtmeisterin einer der großen Kommunikationsabteilungen im Land. Ihre Handreichungen zum Verfassen einer Pressemitteilung hatten Gesetzeskraft, keine Zeile ging ohne ihre scharfe Kontrolle über den Ticker. Angst und Bangen erfassten die Kollegen, wenn ihre Nummer im Display erschien. Und wehe, ein Komma ward an falscher Stelle gesetzt. Ihr Angstregime machte vor allem die Jungen ängstlich und klein, provozierte Verbitterung, manchmal sogar Tränen. Wenn die berufliche Sozialisierung von angehenden Kommunikateuren so verläuft, dann darf man sich nicht wundern, dass die Sprache von Unternehmen noch immer ins Verlautbarungsdeutsch degeneriert.
Kreativität im Alltag organisieren
Im Newsroom geht es anders zur Sache. Ein Beispiel gefällig? „Eine Zumutung“ sei das drastische Aufkaufprogram von Staatspapieren durch die EZB, sagt Alexander Erdland, Präsident der deutschen Versicherer, am 21. Januar 2015. Der Satz entsteht nicht im Hinterzimmer des Gesamtverbands GDV, sondern ist das Ergebnis eines offenen, kreativen Prozesses, von gemeinsamer Diskussion und Nachdenkens in aller Schnelle. Am Ende hat Erdland selbst den Satz getextet, dann geht er an die Nachrichtenagenturen und macht eindrucksvoll Karriere, gedruckt, online, sozial. 2016 landet er, gleichsam geadelt, in den Unterrichtsmaterialien des Sozialkundeunterrichts in Nordrhein-Westfalen. Da geht es um die Reaktion der deutschen Wirtschaft auf die Geldpolitik der EZB.
Es kommt darauf an, das Wagnis Newsroom als Teil der digitalen Verwandlung mit Erfolgsgeschichten zu inszenieren. Das kann auch deshalb gelingen, weil der Newsroom selbst der Veränderung eine weite Bühne bietet. Kommunikationsarbeit findet im Offenen statt, es hat ein Ende mit der Geheimniskrämerei, es geht darum, was man kommuniziert, nicht wer kommuniziert. Aus und vorbei ist es mit den Silos, in der privilegierte Zugangsbesitzer am liebsten im engsten Kreis und miteinander vor sich hin kommunizieren. Auf einmal geht es um Output, um Kommunikationsergebnisse oder, neudeutsch, um guten Content, um den gemeinsam gerungen wird.
Der Raum schafft den Unterschied
Aber es geht natürlich auch um Architektur. Unglaublich, was alles so als Newsroom daherkommt. Es reicht nämlich nicht, bloß die Mauern zwischen Einzelbüros einzureißen und Computer in Reihe aufzustellen. Im Gegenteil, das dürfte sogar im Desaster enden. Man muss sich auch architektonisch ein paar Gedanken machen. Beim Blick in den GDV-Newsroom in Berlin kann man Vorher und Nachher der ersten Schritte zur Transformation auf einen Blick und unmittelbar sehen und erleben. Besucher kommen über den traditionell mit Einzelbüros bestückten Gang. Hier weht noch der Geist des Finanzamt-Flures. Dann tritt man in den offenen, vom Berliner Architekten Armin Steidten gestalteten Erlebnisraum des GDV-Newsrooms. Da trennen Zentimeter Welten und jeder Besucher spürt das auf Anhieb. Hier hat etwas Anderes, Neues Einzug gehalten. Und es macht in der Regel Spaß, hier zu arbeiten.
Gut möglich, dass der Newsroom für die nächste Generation von Kommunikatoren schon – lästiges? – Beiwerk bedeutet. Sie, die mit social media groß geworden sind, werden womöglich gar keinen Raum mehr für ihre soziale Kommunikation brauchen, weil sie diese schon in Kopf und Gerät als Teil ihres Ichs mit sich herumtragen. Wir alle aber, die wir Objekt der Transformation sind und als solche digitale Muster erst erlernen müssen, uns macht ein solcher Platz die Dinge viel einfacher. Immer wieder bin ich gefragt worden, was denn einen Newsroom von einem ganz normalen Großraumbüro unterscheidet. Die Antwort ist simpel: Die Integration von Elementen aus dem Journalismus in die Unternehmenskommunikation. Das sind einerseits architektonische Dinge – wie der große Besprechungstisch für unsere große Morgenrunde oder unser von dort aus stets präsentes „Fenster zur Welt“, unser mit der Münchener Agentur Conrad Caine entwickeltes News Dashboard.
Wie in einer Redaktion
Hinzu kommen die für die Veränderung selbst ebenso wichtigen journalistisch geprägten Prozesse. Medienlage und Tagesplanung, akute Mittagsbesprechungen, Wochenkoordinierung und Monatsthemen, die Dramaturgie der Konferenzen, all das erinnert stark an die Arbeit in Redaktionen. Hierbei haben die Onliner, dem Beispiel Journalismus folgend, längst erheblich an Boden gut gemacht. Im Corporate Newsroom sind es die Onliner, die die redaktionellen Prozesse in der Regel dominieren.
Womit wir bei der qualitativen Dimension der Transformation angekommen sind. Natürlich kommt es auf die Geschwindigkeit an, in der Kommunikation stattfindet. Wenn es immer schneller gehen muss, dann werden die, die auf Abstimmungsprozesse im Expertensilo sozialisiert sind, zu Bremsern. Das heißt nicht, dass es keiner Expertise mehr bedürfte. Aber sie muss immer öfter in schnell organisierten Projektgruppen oder gar spontan im Newsroom organisiert werden. Manch einem altgedienten Experten ist dieses Agieren auf offener Bühne natürlich ein Gräuel.
Social Media als Beschleuniger
Und so beginnt der Marsch durch die Institutionen. Schritt für Schritt verändert Kommunikation im digitalen Zeitalter die Unternehmenskultur selbst. Denn die Devise, dass heutzutage nur derjenige Erfolg hat, der ganz nah am Kunden sei, wie ist in der sich medial immer weiter auffächernden Welt eine Binsenweisheit. So hat eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung unlängst gezeigt, wie sehr der Kurznachrichtendienst Twitter die Alltagskommunikation der deutschen Politik verändert. Für Verbände und Unternehmen kann das nicht folgenlos bleiben, digitale Kommunikation wird überlebensnotwendig, wenn sie politisch wahrgenommen werden wollen. Denn ohne Kundennähe findet gar keine Kommunikation mehr statt, wer die Menschen nicht dort anspricht, wo sie miteinander kommunizieren, der redet ins Leere. Wer aber die entsprechenden Kanäle etabliert hat, der muss dort die Sprache des Publikums sprechen. Das alles fordert eine neue Offenheit, fordert sprachliche Vielfalt, fordert mitunter auch mutige Formulierungen.
Paradebeispiel für den Veränderungsdruck, den Kommunikation entfaltet, sind die Diskussionen um Für und Wider der Beteiligung an Social Media. Es kommt dabei immer wieder zu atemberaubend heftigen Debatten, denn der ein- oder anderen Führungskraft zerreißt es fast die Chef-Seele. Einerseits will man ja gerne vorne mit dabei sein – wobei stets fraglich ist, was eigentlich noch „vorne mit dabei sein“ bedeutet. Andererseits wird das Risiko eines womöglich milliardenschweren Fehlers heraufbeschworen.
Nehmen wir den Fall Facebook: Da war die Grundsatzentscheidung, mitzumachen, längst getroffen. Dann aber bekam die zweite Reihe Wind davon. Und dann bildeten sich sonderbare Koalitionen. In Reihe zwei dominierte die Angst vor Kontrollverlust die Debatte, den Shitstorm-Teufel malten dabei ausgerechnet diejenigen an die Wand, die die E-Mail noch für den letzten Schrei der Online-Verständigung halten. Hinzu traten Besitzstandswahrer aus der Abteilung Mitbestimmung, die bis zuletzt darum kämpften, die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre aufrechtzuerhalten.
Ausgerechnet die Journalisten klagen
Und dann marschierte noch eine dritte Phalanx auf: die Journalisten selbst, unterstützt von dem ein oder anderen Kommunikationswissenschaftler, der behauptet, gleichsam gekaufte „Unternehmensjournalisten“ unterwanderten aus dem Newsroom heraus die Medien und verwischten damit systematisch die Grenzen zwischen PR und kritischem Journalismus. Dergleichen Lamento über Newsroom-Organisation und Social-Media-Engagement gipfelte in eigentümlich rückswärtsgewandtem Schriftverkehr. Aus einem Brief an den GDV: „Zugleich sehen wir dies als Bestätigung des Verdachts, dass der GDV mit dem Ausbau seiner kommunikativen Aktivitäten den unabhängigen journalistischen Zugang zu Themen der Assekuranz verbauen und stattdessen lieber seine parteiische Sicht verbreiten will…“ Träfe dieser Vorwurf zu, wäre er das Gegenteil dessen, was wir uns vorgenommen haben.
Man sollte sich von solchen Rückzugsgefechten keinesfalls kirre machen lassen. Am Ende muss die praktische Vernunft gewinnen. Oft genug gibt der Chef dazu das Signal – und das ist auch gut so. Deshalb kommt die Nummer eins auch immer öfter persönlich in den Newsroom. Es ist ein faszinierendes Phänomen zu sehen, wie der CEO dort Kommunikation unmittelbar prägen und Veränderung damit vorzeigen kann. Dieser Raum wird dann für ihn selbst zur Bühne der Veränderung, auf der er CEO-Kommunikation in der digitalen Ära demonstriert und lebt. Offen, schnell, manchmal vielleicht sogar gewagt. Kommunikation in der digitalen Transformation ist Chefsache ohne Wenn und Aber. Da der Chef dies in aller Offenheit vorexerziert, wird er im Newsroom zum Vorbild. Das schafft Nachahmer, ob aus dem Vorstand, der Geschäftsführung oder auf Expertenseite. Immer mehr kommen her, weil hier Kommunikation zum Erlebnis wird.
Staatsstreich im Newsroom
Manch einer wird sich noch erinnern, als eines Tages der CFO eines weltweit tätigen Unternehmens mit seiner ganzen Kamarilla im Herzen des damals noch frischen Newsrooms erschien. Mittig platzierte es sich am großen Tisch der Morgenlage und begann seine Rede. Vor den Mitarbeitern der Konzernkommunikation und seinen eigenen Leuten predigte er sodann eine gewaltige Stunde lang von den Schwächen der Gegenwart und den großen Chancen der Zukunft. Das war eine Demonstration. Es dauerte nicht mehr lange, und der CEO war kein CEO mehr.
Dass die Transformation für den Leiter der Kommunikation Chefsache ist, versteht sich von selbst. Für ihn geht es um Sein oder Nichtsein. Er muss sich für seine Teams eine Struktur ausdenken, die für die jeweilige Organisation angemessen ist. Es ist ratsam, dass sich Teams für die Arbeit im Newsroom neu bilden, sonst kommt es zum „Alter-Wein-in-neuen-Schläuchen“-Phänomen: Teams ziehen einfach um, machen aber in veränderter Umgebung im Prinzip so weiter wie bisher. Thomas Hartwig, der Wiener Organisationsentwickler, der die Struktur des Siemens-Newsrooms mitentwickelt hat, formulierte es auf seine unnachahmliche Art folgendermaßen: „Es ist nicht damit getan, in die Hände zu klatschen, auf dass der Krähenschwarm von einem Baum zum anderen fliegt. Er bleibt nämlich derselbe Krähenschwarm, und er krächzt genau so weiter wie bisher.“
Der Blick von außen hilft fast immer
Es ist unbedingt ratsam, diesen tief greifenden Transformationsprozess von externen Fachleuten begleiten zu lassen. Denn die Digitalisierung der Kommunikation bedeutet für viele, dass sie sich beruflich neu definieren müssen. Unser Motto beim GDV: Wir wandeln uns von der traditionellen Pressestelle zum digitalen Publisher. Kreativität statt Reaktivität, Content statt Aussteuerung. Früher war es die Krönung der Corporate Communication, mit dem Key Accounter der sündhaft teuren Hausagentur die nächsten Termine für Anzeigenschaltungen zu besprechen. Heute verbreiten wir unter dem Hashtag #Brückentag auf twitter unser Strategiepapier zur Infrastrukturfinanzierung.
Stück für Stück und mit vielen kleinen solcher Erfolgsgeschichten gewinnt die digitale Transformation in der Kommunikation Gestalt. Der Prozess verläuft dabei alles andere als geradlinig. Schnell droht der Rückfall in alte Prozessmuster, schnell reetablieren sich eingefahrene Verhaltensweisen auch in neuer Umgebung. Hier sind wir an einer entscheidenden Schnittstelle angekommen, hier kann es mitunter richtig weh tun. Nur wer bereit ist, lässliche Fehler in mutiger Kommunikation auch wirklich zuzulassen, wird in Zukunft erfolgreich sein. Dagegen steht die in so vielen Organisationen präsente Angstkultur, die sich über Jahrzehnte ausbreiten konnte, weil vor allen Dingen diejenigen nach oben kamen, die möglichst wenig Fehler gemacht hatten.
Mut statt Panikmache
Vielleicht ist es sogar die vornehmste Pflicht des Kommunikationschefs, einem solchen Angstregime die Stirne zu bieten. Er muss im Führungszirkel deshalb zu harten Konflikten stets bereit sein. Und in der Breite der Organisation und vor allem im Kontakt mit den eigenen Mitarbeitern kommt es darauf an, die offene Aussprache zu suchen und das vertrauliche Zwiegespräch. Das spricht sich herum. Je verlässlicher und offener die Gespräche, desto sicherer der Erfolg. Schulterklappen helfen auf diesem Weg selten weiter, hier zählt vor allem eins: gegenseitiges Vertrauen.
So wandelt sich das Klima, in dem man von sich, über sich und miteinander redet. Denn transparente, glaubwürdige Kommunikation beginnt immer daheim, im Newsroom selbst. Guter Content, davon bin ich überzeugt, entsteht nur in einer Atmosphäre offener Debatte, für die gegenseitiges Vertrauen die wichtigste Währung ist. Nur dann wächst die Bereitschaft, Kritik anzunehmen und aus Fehlern zu lernen. Das strahlt in die Organisation aus – und verändert im ersten Schritt die Kommunikationskultur. Aber das ist nicht das Ende. Denn guten Content wird nur der erzeugen, der die Dinge mutig beim Namen nennt. Das wird Organisation und Kultur grundlegend verändern. Eines Tages herrscht dann überall im Unternehmen das Prinzip Newsroom – womit eine entscheidende Veränderung gelungen ist. Der Newsroom, er findet im Kopf statt, die digitale Metamorphose ist geglückt. Oder, um es mit dem alten Meister zu sagen: In nova fert animus mutatas dicere formas corpora.
Erschienen in:
Deekeling Egbert, Barghop, Dirk (Hg.): Kommunikation in der digitalen Transformation, Wiesbaden 2017, S. 46-50